australische Literatur.

australische Literatur.
australische Literatur.
 
Seit ihren Anfängen zeichnet sich die Literatur Australiens durch vier thematische Schwerpunkte aus: 1) die Auseinandersetzung mit der Kultur der Ureinwohner (Aborigines); 2) das Bemühen um adäquate Wiedergabe der landschaftlichen Besonderheiten des Landes; 3) das Ringen um eine geschichtliche und kulturelle Identität; 4) den fast allgegenwärtigen Traum von einem Paradies auf australischem Boden (»Australian dream«). Die Geschichte der australischen Literatur ist die Geschichte der kolonialen Vergangenheit, die allmähliche Lösung vom Vorbild der britischen Literatur und die Anpassung an die Gegebenheiten des neuen Landes. Man kann drei Phasen unterscheiden:
 
Die koloniale Phase (1788-1880)
 
ist durch das Weiterwirken der aus dem Mutterland mitgebrachten Formen und Stile gekennzeichnet. Die früheste Literaturform war das Tagebuch, dessen Prosa dem Stilideal des 18. Jahrhunderts nacheiferte. Die Anfänge des Romans lagen in Sträflingsberichten (»convict narratives«) und landeskundlichen Schilderungen, in denen dem englischen Lesepublikum authentisch oder fiktiv das Leben in der Kolonie (Sträflingssystem, Ureinwohner, Fauna und Flora, der Busch) mit den Konventionen der viktorianischen Erzählprosa vermittelt wurde (Henry Kingsley, * 1830, ✝ 1876). Die frühe Lyrik folgte stilistisch und formal der Dichtung der augusteischen Zeit. Ode, Pastorale, Elegie, Satire und Epigramm zählten zu den bevorzugten Gattungen. Bei Charles Harpur (* 1813, ✝ 1868), Henry Kendall (* 1839, ✝ 1882) und Adam Lindsay Gordon (* 1833, ✝ 1870) gewann die englische Romantik an Einfluss, mit deren Augen die australische Landschaft und die Rolle des Dichters gesehen wurden.
 
Die nationale Phase (1880-1920)
 
wurde von Bemühungen geprägt, die als inadäquat empfundenen importierten literarischen Techniken und Formen mit vermeintlich genuin australischen Inhalten zu füllen. Die seit 1880 erscheinende Zeitschrift »The Bulletin« wurde zu einem Hauptträger der literarischen Unabhängigkeitsbewegung. Auf dem Gebiet der Shortstory gestalteten Henry Archibald Lawson (* 1867, ✝ 1922) und Barbara Baynton (* 1857, ✝ 1929) einfache, unromantische Protagonisten in ihrem täglichen Kampf gegen eine übermächtige Natur. Im Roman rückte die australische Geschichte ins Blickfeld (Marcus Clarke, * 1846, ✝ 1881; Rolf Boldrewood, * 1826, ✝ 1915). Joseph Furphy (* 1843, ✝ 1912) gelang mit »Such is life« (1903) der erste große Roman der Epoche, in dem er in bewusster Ablehnung der von den angloaustralischen Schriftstellern der kolonialen Phase gepflegten viktorianischen Konventionen eine originelle Technik der Episodenverknüpfung und ein dezidiert australisches Ethos entwickelte. Louis Stone (* 1871, ✝ 1935) wählte das Leben in der Stadt als literarischen Gegenstand. In der Lyrik dominierte die Buschballade. Andrew Paterson (* 1864, ✝ 1941) sammelte das von Sträflingen und Goldsuchern aus Irland, Großbritannien und den USA mitgebrachte Liedgut; er verfasste Balladen, in denen er den Mythos vom autoritätsfeindlichen, freiheitsliebenden und naturverbundenen Australier propagierte.
 
Die abseits von der Hauptströmung verlaufenden Entwicklungen zeigten, dass die literarische Abkoppelung vom Mutterland nur bedingt gelang. Victor Daley (* 1858, ✝ 1905) stand mit seinen Gedichten der englischen (Spät-)Romantik ebenso nahe wie Hugh Raymond McCrae (* 1876, ✝ 1958) und John Shaw Neilson (* 1872, ✝ 1942). Bernard O'Dowd (* 1866, ✝ 1953) mit seinem sozialen Protest und utopisch-visionären Ethos ist ein Erbe W. Blakes, F. Nietzsches und W. Whitmans. Christopher Brennans (* 1870, ✝ 1932) Suche nach dem verlorenen Paradies speiste sich aus der deutschen Romantik, dem englischen Spätviktorianismus und dem französischen Symbolismus. Henry Handel Richardson (* 1870, ✝ 1946) verschmolz in ihrem Romanwerk naturalistische und psychoanalytische Techniken mit dem Thema der kulturellen Identitätssuche.
 
Die Moderne (seit 1920)
 
ist gekennzeichnet durch eine Vielfalt unterschiedlichster Versuche, das geistige Identitätsproblem literarisch zu bewältigen. Im Roman zwischen den Weltkriegen zeigte sich dieses Bemühen entweder in der Gestaltung historischer Stoffe (M. Barnard Eldershaw, das ist Flora Eldershaw, * 1897, ✝ 1956; Marjorie Barnard, * 1897, ✝ 1987; Eleanor Dark, * 1901, ✝ 1985; Kylie Tennant, * 1912, ✝ 1988; Miles Franklin, * 1879, ✝ 1954; Eve Langley, * 1904, ✝ 1974) oder in der Darstellung der besonderen Eigenschaften und Probleme des Landes (Katherine Susannah Prichard, * 1883, ✝ 1969; Vance Palmer, * 1885, ✝ 1959; Xavier Herbert, * 1901, ✝ 1984). Dokumentarisch-realistisch ist auch die Shortstory jener Jahre (Gavin Casey, * 1907, ✝ 1964; Frank Davison, * 1893, ✝ 1970; John Morrison, * 1904; Peter Cowan, * 1914).
 
Der Roman nach 1945 fächert sich in verschiedene Richtungen auf. Einer mehr realistischen, zum Teil sozialkritisch (Martin Boyd, * 1893, ✝ 1972; George Henry Johnston, * 1912, ✝ 1970; Frank Hardy, * 1917, ✝ 1994; Dymphna Cusack, * 1902, ✝ 1981; Judah Waten, * 1911, ✝ 1991) steht eine Strömung gegenüber, die sich moderner Techniken bei der Beschreibung nicht mehr nur äußerlicher Wirklichkeitsebenen bedient; zu ihnen zählen die bis Mitte der 1970er-Jahre einzigen auch international bekannten Autoren Patrick White (* 1912, ✝ 1990) und Christina Stead (* 1902, ✝ 1983), außerdem Hal Porter (* 1911, ✝ 1984), David Martin (* 1915), Jessica Anderson (* 1916), Thea Astley (* 1925), Randolph Stow (* 1935), Peter Mathers (* 1931), Elizabeth Harrower (* 1928), Shirley Hazzard (* 1931), David Malouf (* 1934) und David Ireland (* 1927). Ein neues Interesse an der frühen Geschichte Australiens entwickelte Thomas Keneally (* 1935), der später als Verfasser des Romans »Schindler's ark« (1982, deutsch »Schindlers Liste«; Vorlage für den gleichnamigen Film, 1993) weltberühmt wurde. Bekannte Autoren sind auch Morris L. West (* 1916) und Colleen McCullough (* 1937). Die außerordentlich lebendige Kurzprosa (Hal Porter, Frank Moorhouse, * 1938; Barry Oakley, * 1931; Peter Carey, * 1943; Murray Bail, * 1941; Morris Lurie, * 1938; Michael Wilding, * 1942; Elizabeth Jolley, * 1923) folgt internationalen Trends.
 
Anfang der 1920er-Jahre propagierte die Zeitschrift »Vision« Vitalität, Jugend und den Kult des Schönen als Programm der Lyrik. Hugh Raymond McCrae, Norman Lindsay (* 1879, ✝ 1969) und Kenneth Slessor (* 1901, ✝ 1971) verwirklichten dies unter Rekurs auf die griechisch-römische Klassik sowie die angloamerikanische Gegenwartsliteratur. Ende der 1930er-Jahre unternahmen Rex Ingamells (* 1913, ✝ 1955) und Ian Mudie (* 1911, ✝ 1976) in der Jindyworobak-Bewegung den Versuch, angelsächsische Traditionen und australische Ureinwohnermythologie literarisch zu verquicken. Robert David FitzGerald (* 1902, ✝ 1987) belebte die historische Lyrik mit seinen Seefahrergedichten. Der berüchtigte Ern-Malley-Schwindel hatte keine ernsthaften Folgen für die australische Lyrik. In Douglas Stewart (* 1913, ✝ 1985), Judith Wright (* 1915), Alec Derwent Hope (* 1907), Rosemary Dobson (* 1920), David Campbell (* 1915, ✝ 1979), James Philip McAuley (* 1917, ✝ 1976), Bruce Beaver (* 1928), Francis Webb (* 1925, ✝ 1973), Gwen Harwood (* 1920), Vincent Buckley (* 1925), Bruce Dawe (* 1930), Geoffrey Lehmann (* 1934), Les A. Murray (* 1938), Rodney Hall (* 1935), Thomas Shapcott (* 1935), Vivian Smith (* 1933) hat Australien Lyriker von internationalem Format.
 
Obwohl es im 19. Jahrhundert bereits ein ausgeprägtes Theaterleben gab, nahm das australische Drama erst mit der Gründung der Pioneer Players und der Melbourne Repertory Company (1911) in den 1920er- und 1930er-Jahren seinen Aufschwung, repräsentiert durch Louis Esson (* 1878, ✝ 1943), dann Douglas Stewart, Richard Beynon (* 1925), Sumner Locke Elliott (* 1917), Raymond Evenor Lawler (* 1921), Patrick White, Hal Porter. Das bis heute führende Theater ist die Melbourne Theatre Company (gegründet 1953 als Union Theatre Repertory Company). Seit Mitte der 1970er-Jahre setzen - neben der Shakespeare-Pflege (1991 Gründung der National Shakespeare Company) und internationaler Dramatik - v. a. einheimische Autoren Akzente im australischen Theater; bemerkenswert ist die Gründung mehrerer professioneller Ensembles außerhalb der Zentren Melbourne und Sydney. Wichtige Dramatiker der Gegenwart sind: Dorothy Hewett (* 1923), Barry Oakley, Peter Kenna (* 1930), David Williamson (* 1942), Jack Hibberd (* 1940), Alexander John Buzo (* 1944), John Romeril (* 1945) und Louis Nowra (* 1950).
 
Zusammen mit der Literatur ethnischer Minoritäten gewinnt v. a. seit der Mitte der 1960er-Jahre die schwarzaustralische Literatur in englischer Sprache an Bedeutung. Ihre Hauptvertreter, Kath Walker (seit 1987 Oodgeroo Noonuccal (* 1920, ✝ 1994), Jack Davis (* 1917), Kevin Gilbert (* 1933), Colin Johnson (* 1938), Robert James Merritt (* 1945), Dick Roughsey (* 1920, ✝ 1985), Bobbi Sykes (* 1943), Lionel George Fogarty (* 1958) und Archie Weller (* 1957), lenken in ihren der angelsächsischen Formtradition entlehnten Romanen, Gedichten und Dramen das Augenmerk auf das Schicksal der unterdrückten, sozial benachteiligten, um den Erhalt ihrer kulturellen Identität bemühten und zu politischem Handeln drängenden Minderheit der Ureinwohner.
 
 
J. Hetherington: Forty-two faces. Profiles of living Australian writers (Salem, N. H., 1962);
 G. A. Wilkes: Australian literature. A conspectus (Sydney 21973);
 
The literature of Australia, hg. v. G. P. H. Dutton (Harmondsworth, Middlesex, 1976);
 G. K. Smith: Australia's writers (Melbourne 1980);
 
The Oxford history of Australian literature, hg. v. L. Kramer (Melbourne 1981);
 H. M. Green: A history of Australian literature pure and applied, 2 Bde. (Sydney, Neuaufl. 1984);
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 J. McLaren: Australian literature. An historical introduction (Melbourne 1989;
 M. Narogin: Writing from the fringe. A study of modern aboriginal literature (Melbourne 1990);
 B. Hodge u. V. Mishra: Dark side of the dream. Australian literature and the postcolonial mind (Sydney 1991);
 
The Oxford literary guide to Australia, hg. v. P. Pierce u. a. (Neuausg. Melbourne 1993);
 W. H. Wilde u. a.: The Oxford companion to Australian literature (Neuausg. Melbourne 21994).

Universal-Lexikon. 2012.

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